Alis Guggenheim
Alice Guggenheim, war eine jüdische Kunstmalerin, Bildhauerin und Keramikmalerin aus der Schweiz. Sie war eng befreundet mit Max Bill, Karl Geiser, Richard Paul Lohse, Max Raphael, Hans Heinz Holz und Anna Baumann-Kienast und Mentona Moser.(* 8. März 1896 in Lengnau; † 2. September 1958 in Zürich)
Alice Guggenheim wächst als drittes von sieben Kindern in bescheidenen Verhältnissen in Lengnau auf. Der Vater ist Viehhändler und Parnes der jüdischen Gemeinde. 1910 zieht die Familie nach Zürich. Alice geht zu einer Modistin in die Lehre. 1915 verliebt sie sich in den russischen Jus-Studenten und Revolutionär Mischa Berson, der sie für die Ideen des Sozialismus begeistert. 1916 kann sie in Zürich ihren eigenen Salon de Modes eröffnen. Mit Mischa Berson fährt sie 1919 in einem Rotkreuz-Zug nach Moskau, um beim Aufbau der zukünftigen Sowjetunion tatkräftig mitzuwirken. Hier arbeitet sie als Näherin, lernt Russisch und wird Mitglied der Kommunistischen Partei. Vorübergehend lebt sie in Kiew. Am 16. Juni 1920 kommt in Moskau Ruth zur Welt, die Tochter von Alice und Mischa. Ende August 1920 kehrt sie – allein mit ihrem Kind – in die Schweiz zurück. Sie kann ihr ehemaliges Modegeschäft in Zürich wieder übernehmen; sie beginnt – jeweils nach Ladenschluss – zu modellieren. Vergeblich versucht sie, in der Zürcher Kunstgewerbeschule Aufnahme zu finden. 1924 lernt sie den Bildhauer Karl Geiser kennen und kann in seinem Atelier arbeiten. Alice Guggenheim beschliesst, freischaffende Künstlerin zu werden: 1925 verkauft sie ihren Salon de Modes und ändert die Schreibweise ihres Vornamens: Alis. Es entstehen figürliche Plastiken und Zeichnungen.
An der Herbstausstellung 1926 des Zürcher Kunsthauses kann sie einige ihrer Arbeiten zeigen und erhält Zuspruch von den Bildhauern Hermann Haller, Alexander Soldenhoff und Ernst Kissling. 1928 stellt sie an der Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit (SAFFA) ihre erste grosse Aktplastik Frau 1928 aus. Sie lernt den aus Deutschland emigrierten Kunsthistoriker und Kulturphilosophen Max Raphael kennen, der 1932 im Zürcher Tages-Anzeiger den ersten Artikel über ihre künstlerische Arbeit veröffentlicht. Von dieser Freundschaft zeugt ein umfangreicher Briefwechsel. Von 1932 bis 1935 lebt und arbeitet sie in Paris. Ab 1936 wird ihr Zürcher Atelier zum Treffpunkt für einen kleinen Kreis von politisch und künstlerisch engagierten Menschen: Fritz Platten und Emil Ludwig diskutieren über Sowjetrussland, Friedrich Wolf liest aus seinen Manuskripten, Hans Mühlestein spricht über Ferdinand Hodler. Auch Richard Paul Lohse, Clément Moreau (Carl Meffert) und Lea und Hans Grundig gehören zum Freundeskreis. Gegen Ende der dreissiger Jahre finden sich oft auch Emigranten und Emigrantinnen ein.
1942 übersiedelt Alis Guggenheim ins Tessin, nach Muzzano. Sie beginnt zu malen – vor allem Landschaften – und dekoriert keramische Platten und Gefässe; damit verdient sie ihren Lebensunterhalt. Zwischen 1946 und 1953 hält sie sich mehrmals in Italien und Frankreich auf.
Um 1950 malt sie einen Zyklus von kleinformatigen Bildern, in denen sie aus der Erinnerung das jüdische Leben ihrer Kindheit in Lengnau darstellt. 1954 erhält sie den Kunstpreis des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes; die städtische Galerie zum Strauhof in Zürich veranstaltet eine Einzelausstellung. Ihre Kunst wird nun zunehmend von der Öffentlichkeit wahrgenommen: 1955 ist sie an einer Ausstellung im Berner Kunstmuseum vertreten; die Stadt und der Kanton Zürich kaufen mehrere Werke; auch die Eidgenossenschaft erwirbt ein Bild.
1992 zeigt das Aargauer Kunsthaus Aarau eine umfassende Retrospektive ihres Werks, begleitet von einer dokumentarischen Buchpublikation. Eine weitere Ausstellung, veranstaltet vom Präsidialdepartement der Stadt Zürich, ist 1996 im Zürcher Stadthaus zu sehen.
Die Bedingungen, unter denen Alis Guggenheim in Zürich ihre künstlerische Arbeit aufnimmt, sind für sie äusserst schwierig. Besonders auf dem von Männern beherrschten Feld der Plastik stösst sie in ihrem steten Kampf um Gleichberechtigung immer wieder auf Widerstand. In einem selbstgeschriebenen Lebenslauf schildert sie 1944 treffend ihre Situation: «Für die Schweizer bin ich nur eine Jüdin. Für die Juden bin ich nur eine Kommunistin. Für die Kommunisten bin ich nur eine Künstlerin. Für die Künstler bin ich nur eine Frau. Für die Frauen nur ein Fräulein mit einem Kind. (Mir selber tut es leid, dass es nicht zwölfe sind.)».
Mit der erwähnten lebensgrossen Figur Frau 1928 (Bronze) erreicht ihr plastisches Schaffen schon früh einen ersten Kulminationspunkt. Aus ihr spricht die engagierte Frau und Künstlerin: aufrecht, selbstbewusst, mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehend, unterscheidet sie sich augenfällig von all den zierlich-eleganten Frauenfiguren von Männerhand, die zuhauf die Parkanlagen und privaten Gärten zieren.
Von einer intensiven Verbundenheit der Künstlerin mit der Natur zeugen die Landschaftsbilder, die sie nach 1942 im Tessin geschaffen hat. Die topografischen Gegebenheiten der Natur widerspiegeln sich jeweils in einem auffallend architektonisch strukturierten Landschaftsgefüge, welches – oft ohne Horizont – die ganze Leinwand ausfüllt.
Eine Sonderstellung nehmen in ihrem Werk die um 1950 entstandenen Erinnerungsbilder an ihre Kindheit im aargauischen Bauerndorf Lengnau ein. Im Zentrum stehen die – bewusst in «naiver» Bildsprache formulierten – Darstellungen von religiösen Zeremonien und Bräuchen, wie sie sich in den beiden jüdischen Surbtaler Gemeinden Lengnau und Endingen zum Teil eigenständig entwickelt und erhalten haben.
Werke: Aargauer Kunsthaus Aarau; Basel, Jüdisches Museum der Schweiz, Israel Museum, Jerusalem, Kunstsammlung Stadt Zürich, Nachlass Heussler, Zürich.
Urs Hobi, 1998, www.sikart.ch
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